Gedankentagtebuch

Gedankentagebuch #24 – Und dann frage ich mich, warum ich zögerte…

Gerade, wenn es um die eigenen Kinder geht, hat man enorm viel Angst Fehler zu machen. Wenn ich im Laufe der letzten Jahre etwas gelernt habe dann, dass man meist dann die Fehler macht, wenn man am meisten Angst davor hat Fehler zu machen. Man lässt sich dadurch so massiv verunsichern, dass man sich selbst im Weg steht. Das habe ich in so vielen verschiedenen Lebenssituationen, banal oder auch enorm wichtig, schon erleben müssen. Ein banales Beispiel wäre in dem Fall zum Beispiel: Ich muss etwas vortragen und habe Angst mich zu verhaspeln, zu stottern und dann schlecht verstanden zu werden. Diese Angst ist dann so groß, dass ich mit einer Nervosität vor die Leute trete, so dass meine Stimme dann tatsächlich vor Aufregung zittert. 

Im Laufe der Jahre standen wir vor vielen Entscheidungen

Angefangen mit dem Namen des Kindes. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir vor etwas über 13 Jahren (oh Gott, was für eine Zahl das schon ist) immer wieder mal zusammen saßen und uns verschiedene Namen vorsagten. Ich blätterte damals auch noch in einem Namenbuch und las jeden einzelnen, um zu schauen, wie ich mich damit fühle. Ob ich IHN fühlte, also den Namen. Ob er zu diesem Wesen passen würde, das da in mir heranwuchs. Ich fand diese Entscheidung unglaublich schwer, denn sie würde mein Kind ein Leben lang begleiten. 

Ich weiß noch als Kind hatte ich Phasen, da mochte ich meinen Namen so gar nicht. Also wirklich überhaupt nicht und so wollte ich eine ganze Zeit lang Josephine genannt werden und als Spitzname sollte es bitte Josi sein. Ich glaube ich habe mich damals von einer Kinderserie beeinflussen lassen. Eine Weile später war es dann der Name “Antonia” mit dem Spitznamen “Toni”. Ich weiß auch nicht, alles war irgendwie besser als Sarah. Vor allem, weil kaum einer das H an die richtige Stelle setzte und ich in der Schule gerne Sahara genannt wurde von anderen Kindern. Heute bin ich übrigens mit meinem Namen im Reinen, wobei ich doch mehr auf Sari als auf Sarah reagiere. Eigentlich fühlt es sich sogar total komisch für mich an, wenn jemand meinen Namen normal benutzt.

Na jedenfalls empfand ich es als eine enorm große Verantwortung diese Entscheidung zu treffen und meinem Kind einen Namen zu geben, den es ein Leben lang tragen würde.

Am Ende pendelten wir uns auf zwei bis drei Varianten ein…

Ein weiterer wichtiger Faktor ist ja, dass er uns beiden gefallen musste. Ich hatte doch teilweise andere Namenswünsche als der Mann und irgendwie mussten wir ja eine Mitte finden, die wir beide gut fanden. Mit der Zeit kamen wir dann auf zwei drei Namen, die uns beiden wirklich gut gefielen und als wir unseren Sohn dann endlich im Arm hielten, war mir schnell klar, dass der Favorit nicht passte. Ich sah dem kleinen Mann ins Gesicht und fühlte es nicht. Tatsächlich nutzten wir die zwei Tage, bevor wir die Urkunde im Krankenhaus ausfüllen mussten, voll aus und ließen uns Zeit um uns wirklich sicher zu sein. Die anderen zwei Namen wurden es dann. Ja, beide, wobei wir den Favoriten der beiden dann an die erste Stelle setzten und den zweiten dazu schrieben, um unserem Kind zumindest die Möglichkeit zu geben später eine Art Auswahl zu haben, mit der es sich wohl fühlen würde. 

Eine Entscheidung zu treffen ist irgendwie immer eine große Last

Das war jetzt irgendwie ganz schön lange erzählt, dafür, dass ich heute wieder viele Gedankengänge habe, die sich halt vor allem auf Veränderungen beziehen denen meist eine große Entscheidung voran geht. Es ist halt immer eine Sache, wenn man etwas für sich selbst entscheidet, denn die Konsequenzen muss man ja dann auch selber tragen. Aber für jemand anderen den Weg zu weisen, das ist für mich noch einmal eine ganz andere Baustelle. Ich könnte meinem Kind unnötig Steine in den Weg legen oder gar den falschen Abzweig gewählt haben und ihm damit alles verbauen. Oder es war genau das Richtige, aber das wissen wir nun mal vorher nicht.

Früh schon in die Kita oder erst ab 3 Jahren oder gar nicht? Wobei ich erst heute las, dass ein Kitajahr vor der Einschulung ein Muss wird und ich habe das durchaus auch als sinnvoll gesehen, weil ein Kind (meiner Meinung nach) so nicht ins kalte Wasser geworfen wird, wenn es dann in die Schule kommt. Aber nicht jedes Kind ist auch ein Kitakind. Der große Sohn war es nicht. 

Rückblickend hätten wir ihn vielleicht nicht in die Kita schicken sollen. Er hat sich dort nie 100% wohl gefühlt und das lag nicht an der Einrichtung alleine. Er war einfach schon immer mehr Schul- als Kitakind, aber ich fand die sozialen Kontakte im Vorfeld so wichtig. Als er dann in die Schule kam, so vieles schon konnte und recht schnell schon mit den Zweitklässlern mitlief war klar, dass er endlich da angekommen war, wo er die ganze Zeit schon hingehörte und ich fragte mich, ob wir ihn nicht doch schon hätten früher einschulen sollen.

Als der Wechsel auf das Gymnasium kam, war das auch so ein Zeitraum, in dem wir alle drei – also mit dem Sohn zusammen – immer wieder am Abwägen waren ob es der richtige Weg für ihn war oder nicht. Wochen und Monate haben wir immer wieder überlegt, abgewogen, gegrübelt… es war eine große Entscheidung: Frühzeitig ja oder nein. Wieder so eine Entscheidung, die Einfluss auf den Weg des Kindes haben würde und immer diese Angst, die mitschwingt, dass es auch die falsche sein könnte und das Kind dann die Konsequenzen tragen muss.

Wer entscheidet das eigentlich?

Wir hatten ja nun in den letzten Monaten etwas ähnliches mit dem kleinen Sohn. Eine Fördermöglichkeit hatte sich ergeben, die eventuell eine große Entscheidung mit sich bringen würde. Wir haben mit so vielen Menschen gesprochen, sie nach ihrer Meinung gefragt und was sie tun würden. Wir haben mit “Experten” aus dem Bereich gesprochen, Menschen, die seit Jahren in NLZ oder anderen erfolgreichen Teams zu tun haben und um deren Erfahrungen gebeten. Letztendlich hat es uns kaum geholfen, denn jeder hatte eine andere Ansicht und einerseits tat sich hier eine große Gelegenheit auf, andererseits sprechen wir über ein 8 jähriges Kind, das noch so viel Zeit hat auf seiner Reise.

Am krassesten fand ich dabei die Aussage “Man darf so eine Entscheidung nicht vom Kind treffen lassen. Es ist doch noch gar nicht in der Lage das richtig einzuschätzen”. Dennoch ist für mich ein ganz wichtiger Faktor bei solch massiven Veränderungen auf ihrem Lebensweg, dass sie diesen glücklich beschreiten und ich habe es schon erlebt: Eltern haben die Entscheidung für ihr Kind getroffen ohne dessen Bedürfnisse mit zu berücksichtigen, weil es ihrer Meinung nach der sinnvollere Weg ist und am Ende blicke ich auf ein Kind, dass eines vor allem nicht ist – glücklich. Mag sein, dass ein Kind noch jung und formbar ist und sich an so einen neuen Lebensabschnitt gewöhnen kann, aber ich würde niemals etwas für mein Kind entscheiden, von dem ich wüsste, dass es das überhaupt nicht möchte. Sicherlich gibt es Dinge, bei denen wir Eltern eine etwas höhere Entscheidungsgewalt haben als die Kinder, aber diese sollten zu jedem Zeitpunkt auch eine Art Veto-Recht haben oder sehe ich das falsch?

Und manchmal gibt es Dinge, bei denen ich mich frage: Warum habe ich gezögert?

Das letzte Jahr war in so mancher Hinsicht nicht einfach. Der große Sohn musste sich mit vielen großen Veränderungen in dem Bereich auseinander setzen, der seine größte Leidenschaft betrifft und er hat noch immer einiges an Enttäuschungen zu verarbeiten. Wir hatten als Übergangsphase etwas gefunden, von dem er dennoch profitieren konnte und eine Art Mittelweg entwickelt, indem wir viele Gespräche mit verschiedenen Instanzen geführt hatten. So hatte er die Möglichkeit sich an zwei Stellen zu entwickeln. Die eine hatte den Schwerpunkt sein Selbstbewusstsein zu stärken und die andere seine Entwicklung weiter zu fördern und in beiden Bereichen hat er viel positives Feedback erhalten. Insgesamt war es also wohl der richtige Weg, den wir erst einmal eingeschlagen haben (aber es hätte eben auch anders laufen können).

Im Laufe der Zeit zeichnete sich allerdings ein Trend ab, den wir schon seit seiner Geburt bei ihm beobachten: Er ist seinem Alter 1-2 Jahre voraus. Wie ein roter Faden zieht es sich durch sein Leben, dass er sich unter älteren Kindern immer wohler gefühlt hat und so war es auch dieses Mal. In den letzten Monaten saß ich immer wieder da und sagte mir selbst “Ich schaue mir das für einen Zeitraum an und notfalls trete ich Veränderung los”. 

Mehr und mehr zeichnete es sich wieder ab, dass sich der Sohn unter den älteren einfach irgendwie wohler fühlte und obwohl wir uns zu Anfang gegen diesen Weg entschieden hatten, weil er einfach noch Raum zum Entwickeln haben sollte, denke ich heute, dass wir wieder einmal nicht hätten zögern und ihn direkt hätten schicken sollen.

Aber damit komme ich wieder auf das anfängliche Thema zurück: Entscheidungen zu treffen, vor allem für jemand anderen, das ist echt die größte Herausforderung überhaupt. Denn jede Entscheidung hat Einfluss auf die Zukunft und man möchte für sein Kind nur die beste erreichen, die geht. Ja, es gehört auch dazu mal auf den Hintern zu fallen, sich wieder aufzurichten, aus den Fehlern zu lernen und es erneut zu versuchen, aber man möchte unnötig große und belastende Steine natürlich möglichst verhindern, nicht wahr?

Dieses Mal hat es sich fast von alleine gefügt und ich sehe die Veränderung in meinem Kind. Sehe, wie Freude und Stolz bei ihm einziehen und nochmal eine vollkommen neue Motivation in ihm wächst und das macht mich glücklich. Die Erfahrungen der letzten Monate waren genauso wertvoll und wichtig und haben viel positiven Einfluss auf ihn genommen, so dass es sicherlich keine falsche Entscheidung war und trotzdem fragt eine kleine leise Stimme in mir “Warum habt ihr gezögert”.

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4 Kommentare

  1. Ich finde es wahnsinnig gut von euch, dass ihr euch da so viele Gedanken macht, beobachtet und abwägt und alle Optionen durchgeht, anstatt einfach hoppladihopp eine Entscheidung zu fällen. Vor der Tragweite solcher Entscheidungen, die einen anderen Menschen betreffen, und Eltern, die sich da wirklich einen Kopf machen, habe ich deswegen auch größten Respekt. Ihr macht das mega. :)

    Meine Eltern haben mal erzählt, dass sie sich bei meiner Geburt damals nicht auf einen Namen einigen konnten. Am Ende haben sie einen gewählt, den sie beide nicht so doll fanden. War immerhin fair. 🤷‍♀️ Aber ich finde den Namen blöde (Anne ist nur eine Abkürzung) und ich kann mich auch mit 37 Jahren immer noch nicht wirklich damit identifizieren. Also schon gar nicht mit meinem vollen Vornamen, aber auch mit der Abkürzung nur sehr bedingt… das ist mehr Gewöhnung à la “damit bin ich gemeint” als “das bin ich”.

    1. Sarah Kroschel says:

      Ich habe mich auch quasi an meinen gewöhnt und lebe vor allem die Spitznamen-Variante, bei der andere zucke ich immer ein wenig zusammen, obwohl es doch eigentlich ein schöner Name ist *lach*. Ich habe einfach immer viel zu viel Angst falsche Entscheidungen bei meinen Kindern zu treffen, mit denen sie dann leben müssen… das raubt schon manchmal den Schlaf.

      1. says:

        Vielleicht gibt es manchmal auch keine ganz klar “richtigen” oder “falschen” Entscheidungen… “irjendjet es immer”, pflegt der Kölsche zu sagen: irgendwas ist immer.
        Aber zu wissen, dass jemand viel Zeit und Hirnschmalz und Liebe in eine Entscheidung gesteckt hat, rückt das Ergebnis so oder so in ein ganz anderes Licht, finde ich. <3

      2. Sarah Kroschel says:

        Das stimmt wohl und ich weiß, dass man sich bei meinem Namen auch viele Gedanken gemacht hat <3

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